Singapur

Ein Reisebericht von Evelyn Garski

Singapur – eine Stadt voller Kontraste, zahlreicher verschiedener Kulturen und vielversprechenden Essgenüssen. Eine Stadt, so erzählte man uns, die nicht nur wegen ihres tropischen Klimas bekannt war, sondern mittlerweile als Geheimtipp für Kung Fu Interessierte weitergegeben wurde.

Auch wir folgten im Juli 1994 einer dreiwöchigen Einladung von Frank Greinacher und seinem Meister Yeo Lian Hook, der in Singapur lebt, anlässlich des 20jährigen Bestehens des Shaolin Hong Chay Kung Fu Deutschland.

Die Reisegruppe setzte sich zusammen aus fünf traditionellen deutschen Kung Fu Lehrern wie Sifu Frank Greinacher (Shaolin Hong Chay), Sifu Gerhard Milbrat (Mei Hua Tang Lang), Sifu Jan Silberstorff (Chen-Taiji Chuan), Sifu Kai Uwe Pel (Seven Star Mantis), Sifu Andreas Garski (Hung Gar), den Ausbildern und Assistenten von Sifu Greinacher und Sifu Milbrat, Evelyn Garski (als Mit-Redakteurin des Kung Fu Magazin’s) sowie Ausbildern des Shaolin Hong Chay aus Türkei, Belgien, Griechenland und sehr motivierten und erwartungsvollen Schülern dieser traditionellen Schulen. Insgesamt brachten wir es auf eine stolze Teilnehmerzahl von immerhin 33 Mitreisenden.

Der erste Eindruck

Am Flughafen wurden wir schon von Sigung Yeo Lian Hock erwartet und begrüßt, der uns dann mit Bussen zu unserem Hotel im Stadtkern brachte. Beim Aussteigen traf uns fast der Schlag; Das tropische Klima war für die meisten von uns absolut ungewohnt. Bereits jede kleinste Bewegung brachte den größten Schweißausbruch hervor. Und hier sollte auch noch trainiert werden? Nach endlos langer Warterei auf unser Hotelzimmer (eilig hatte es das Personal nicht gerade – vielleicht typisch asiatisch?) wurde schnell geduscht und die erste Erkundungstour unternommen. Singapur ist eine mit einem Stadtplan relativ leicht zu erforschende Stadt. Das saubere Bild, das uns durch Reiseführer vermittelt wurde, stellte sich tatsächlich so dar. Mit einer Bevölkerung von 75% Chinesen sowie Minderheiten von Malayen, Indern, Thailändern, Arabern und Nicht-Asiaten bot sich uns ein buntes Bild zahlreicher verschiedener Religionen mit ihren unzähligen Tempeln und Wohn- und Geschäftsvierteln, die in Eintracht und Harmonie miteinander leben. Leider macht auch hier sich bereits der westliche Einfluss stark bemerkbar. So sind Kaufhäuser, die mit 6 Stockwerken nur aus Computer-Geschäften bestehen, keine Seltenheit. Auch preislich gesehen ist Singapur eine der teuersten Metropolen Asiens geworden. Der „alte“ asiatische Einfluss mit seinen kleinen Basaren, Mini-Geschäften und Handwerksbetrieben fällt der Geschäftstüchtigkeit großer Firmen zum Opfer. Baufällige Häuser werden nicht mehr restauriert, sogar ganze Häuserfronten werden abgerissen, um Hochhäusern und Kaufhäusern zu weichen (z. B. in Chinatown war dies sehr stark zu spüren).

Kung Fu Schulen in Singapur

Kung Fu Schulen sind zum Teil nur in bestimmten Stadtteilen zu finden. Da die meisten Schulen Löwen- und Drachentanz praktizieren, wurden ihnen von der Regierung Plätze zugeteilt, die sich zum größten Teil außerhalb des Stadtkerns befinden, um die Anwohner vor etwaiger Lärmbelästigung durch das lautstarke Trommeln zu „schützen“. Daher findet man manche Kung Fu Schulen in alten Tempeln (für uns eine absolute Traum-Trainingskulisse), bei denen die Miete nicht so hoch und gleichzeitig die Erhaltung der Tempel gesichert wird. Durch die räumliche Enge (ähnlich wie in Hong Kong) sind jedoch die Schulen, die keine Räume gefunden haben, im Freien zu trainieren und die, die das Glück hatten, Trainingsräume anzumieten, findet man häufig auf den Dächern.

In Singapur müssen sich normalerweise alle Kung Fu Schulen einem der zwei Dachverbände anschließen. Wer dort kein Mitglied ist, wird auch nicht als seriöse Kung Fu Schule bezeichnet und auch namentlich nicht gerne genannt. Anders als bei uns werden die Kung Fu Schulen oder auch spezielle Drachen- und Löwentanz-Schulen nicht durch Beiträge der Schüler finanziert, sondern durch Sponsoren und bezahlte Auftritte. Siege bei den jährlich stattfindenden Löwen- und Drachenwettkämpfen in Singapur und im Ausland sichern neue Aufträge und Auftritte und somit den Erhalt der Schule; Wer am erfolgreichsten ist, erhält am meisten Zuschüsse. Dies ist auch der Grund, warum in Singapur hauptsächlich Drachen- und Löwentanz geübt wird und Kung Fu erst an zweiter Stelle.

Ein Höhepunkt folgt dem anderen

Der Programmablauf, außer dem Kennenlernen der Stadt, gestaltete sich zu unserer Freude überwiegend darin, einige Meister, Schulen und ihre Kung Fu Systeme kennenzulernen. Sigung Yeo Lian Hock ermöglichte uns dies mit seiner netten, unproblematischen und dennoch mit Respekt zu behandelnden Wesensart. Das Programm, welches dann Sigung Yeo Lian Hock bot, übertraf selbst die kühnsten Erwartungen. Bereits ab dem dritten Aufenthaltstag in Singapur hatten wir die Möglichkeit, mit ihm jeden Abend ein oder zwei Meister und deren Schulen zu besuchen wie die Singapore National Wushu Federation, das Kiew Sian King Dragon & Lion Dance Centre, Kampong Glam Community Centre Lion Dance Troupe, Ang Shiang Tai Tee Temple Dragon Troupe, Hong Sheng Koon Chinese Koontrow & Lion Dance Society, Chin Woo Athletic Ass, Lin Nam Pugilistic Gymnasium, Kuan San Tang Dragon/Lion Troupe und die Boo Yee Pugilistic & Lion Dance Association.

Immer wurde die komplette Reisegruppe freundlich und aufgeschlossen empfangen. Beide Seiten, sowohl die Gastgeber wie auch wir, waren gespannt auf die „Anderen“. Im gegenseitigen Wechsel mit den einheimischen Kung Fu Lehrern demonstrierten Sifu Frank Greinacher, Sifu Gerhard Milbrat, Sifu Kai Uwe Pel, Sifu Jan Silberstorff und Sifu Andreas Garski bei jedem Besuch ihren Kung Fu Stil mit überzeugender Ausdrucksweise und Perfektion, was die Gastgeber und Publikum in Staunen brachte und die Darbietungen mit großem Applaus honorierten. Ohne überheblich erscheinen zu wollen, stellten wir fest, dass die europäischen Lehrer ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen müssen, sondern mindestens mit den asiatischen Lehrern gleich zu stellen sind, was auch die Einheimischen in ihren Reportagen über den Besuch aus Deutschland, Türkei, Belgien und Griechenland berichteten. Beim anschließenden Essen, bei dem stets die gesamte Reisegruppe eingeladen war, führten uns die Gastgeber stolz ihre reichhaltige und ausgezeichnete Küche vor, für die Singapur weltweit berühmt ist. Dabei wurde die Gelegenheit genutzt, sich mit den Meistern eingehend zu unterhalten, Erfahrungen auszutauschen und Kontakte für die zukünftige Zusammenarbeit zu knüpfen.

„1. International Wushu Gala ’94“

Absoluter Höhepunkt und eigentlicher Grund unserer Reise war die Teilnahme an der „1. International Wushu Gala ’94 in Johor Bahru/Malaysia“ am 15. Juli 1994. Diese Gala wurde veranstaltet von dem Ang Shian Tai Tee Temple Malaysia, der sein 25jähriges Jubiläum beging. Sifu Frank Greinacher feierte mit der Einladung nach Singapur und Malaysia gleichzeitig bei dieser Gala das 20jährige Bestehen des Shaolin Hong Choy Kung Fu System Deutschland.

Mit dieser Veranstaltung hatten sich die Ausrichter eine große Aufgabe gestellt. So wurde eine riesige Halle ausgesucht, die für mehr als 10.000 Besucher Platz bot. Trotz einem vielfältigen und ausgesuchten Programm und einer groß angelegten Werbeaktion fanden sich an diesem Tag nur ca. 3.000 Zuschauer ein, die über die fünf Stunden andauernde Gala ständig kamen und gingen. So wirkte die riesige Halle leider relativ leer und von der Atmosphäre etwas unpersönlich und unruhig.

Die Unerfahrenheit der Veranstalter, für die dies die erste Kung Fu Veranstaltung dieser Größenordnung war, machte sich bei dem organisatorischen Ablauf bemerkbar, z. B. wurde die Hälfte der Darbietungen der europäischen Lehrer und Schüler, die normalerweise als Gäste einer der Höhepunkte der Veranstaltung bilden sollten, ins Vorprogramm vor der eigentlichen Eröffnung, die zwei Stunden nach Beginn der Veranstaltung stattfand, oder ans Ende als Schlusslicht gelegt. Auch das 20jährige Bestehen des Shaolin Hong Chay Kung Fu Germany ging in diesem Chaos unter. Trotz diesen Ärgernissen und Trubel behielten die Sifus ihre innere Ruhe (typisch deutsch?) und verblüfften die einheimischen Zuschauer mit ihrem exzellenten Können. Obwohl das Programm mit z. B. Wushu-Spitzensportler aus China, Malaysia und Singapur, Drachen- und Löwentänzen aus Singapur, Qi Gong Demonstrationen sowie traditionellen einheimischen Kung Fu Schulen und Meistern absolut erstklassig war und die ganze Vielfalt der chinesischen Kampfkünste präsentierte, riss es die Zuschauer nicht gerade von ihren Stühlen, was sich vor allem beim Applaus bemerkbar machte. So hinterließ die Veranstaltung bei uns zum Teil einen zwiespältigen Eindruck (vielleicht typisch asiatisch?). Wir wünschen den Veranstaltern für ihre im nächsten Jahr geplante „Budo-Gala“ (Vorbild Deutschland), die leider keine ausschließliche Kung Fu Gala mehr sein wird, viel Erfolg.

Nach diesen anstrengenden und eindrucksvollen ersten Wochen bildeten die anschließenden Erholungstage auf der reizvollen Bade-Insel Penang einen erholsamen Abschluss.