Der historische Ursprung der Chen Taiji-Schwertkunst ist bis heute umstritten. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass die Prinzipien des Taiji Quan für das Taiji Schwert bereits präzise und perfekte Voraussetzungen geschaffen haben. Es heißt, dass jeder der heutigen Taiji Schwertstile auf einen von 3 Schwertformtypen zurückgeführt werden kann (Xuan Hua-Schwertform, Sancai-Schwerform, Qian Kun Schwertform). Die Forschung, welche zu diesem Ergebnis führte, gilt jedoch auch als ziemlich unspezifisch und umstritten.
Das Ming-Zeit-Schwert
Sehr wahrscheinlich ist aber, das die Grundtechniken des Chen Taiji Schwert sich vom Ming Zeit-Schwert (1368-1644) ableiteten.
Das Ming Zeit-Schwert arbeitete mit der 4 Prinzipien-Methode. Die 4 originalen Schwerttechniken (Si Mu) sind im Song Wei Yi-Schwertbuch (Song Wei-Yi Jian Pu) aus der Ming Zeit ausgearbeitet.
4 originale (Si Mu) Ming Zeit-Techniken nach Song Wei-Yi Jian Pu | |
Ji | schlagen |
Ci | stechen |
Ge | blockieren |
Xi | säubern |
In der auslaufenden Ming Zeit veränderte sich die Schwertkunst in China. Das rührte daher, dass es nun auch zivilen Personen gestattet war, Schwerter zu tragen. Neben dem Kriegsschwert (Wu Jian), welches auf dem Rücken getragen wurde, entwickelten sich leichtere Zivilschwerter (Wen Jian). Diese konnten an der Hüfte getragen werden.
Ab der Qing Ära (1644-1911) hatte die Schwertkunst längst nicht mehr den renommierten Rang wie in den alten Zeiten. Das Schwert wurde im Militärwesen bedeutungslos, in den wichtigen Militärschriften der Qing Zeit, wie z.B. „Du Wu Jing Zong Yao“, „Zhen Yi“, „Ji Xiao Xin shu“ oder „Wu Bei Zhi“ werden die waffenlosen Formen und der Speer als die Quelle der Geschicklichkeit in allen Waffenformen beschrieben. Zudem wurde es schwierig, einen wirklich guten Schwertlehrer zu finden. Die Schwertmethode wurde nur noch von wenigen oder verwässert übermittelt.
Die Schwertformen waren ab der Qing Zeit nun alle Teil eines waffenlosen Systems, als Waffenformen in diese Systeme integriert, unter Verlust ihrer Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu ihrer früheren Bedeutung als eine Hauptform der Kampfkunstpraxis, dem Schwertkampf, wurde die Schwertkunst über den Schwerttanz zu einer Form der geistigen Vorbereitung auf die Kampfkünste, einer gesundheitsfördernden Übung und einem Mittel des Selbstausdrucks.
Spielte die Fechtkunst mit dem Schwert auf den Schlachtfeldern nur noch eine untergeordnete Rolle, entwickelte sich jedoch immer mehr das Duellfechten Mann gegen Mann. Das Duellfechten führte zu einer weiteren Entwicklung der Grundtechniken. Im Taiji-Duellfechten entwickelte sich immer mehr eine Hüft- und Beinarbeit wie wir sie vom Push Hand des Taiji Quan kennen und es wurde mehr Wert auf die „Wahrnehmung der Energie“ gelegt.
In der Schwertkunst dieser Zeit wurde vor allem das Prinzip Nian oder Zhan, das Prinzip des Anhaftens praktiziert. Prinzipien wie Nian und Peng (nach oben ableiten) wurden bei der Entwicklung der Langwaffentechniken (Speer/Stock) gefunden und kommen erst später im Taiji Quan zur Anwendung. Erstmalig verwendet wurde das Wort Nian in der Ming Zeit in dem Buch „Jian Jing“ (Sword classics) von Yu Da You im Zusammenhang mit den Methoden von Langstock und Prügel. Auch in Qi Ji Guan Kampfkunst-Klassiker „Aufzeichnung zur Verteidigung“ taucht das Wort Nian auf.
Lied über das Chen Stil Schwert von Chen Zhaopei
(The Chen Style Taijiquan Journal Vol 2/No. 2/1994 Notes on the Taiji Sword S. 160).
“Das Chen Stil Taiji-Schwert beinhaltet in allen Aspekten die Strukturen und Prinzipien des Taiji Quan. Der Gebrauch von Armen, Schultern, Augen, Körpermechanik und der Schwert-Technik folgt den Prinzipien des Taiji Quan“.
„Zha (nach unten stoßen/stechen), Dian (Punktschlag mit der Spitze der Klinge aus dem Handgelenk), Pi (spalten), Ci (gerade oder nach oben stoßen/stechen); Die Klinge des Gegners spiralig aufnehmen und die Energie des Angreifers in die Leere laufen lassen (Chan Rao Jing Luo Kong). Benutze eine spiralige Aktion um den Gegner zu entwaffnen. Da sind Wege um Vorteile zu erlangen während die Klinge des Gegners aufgenommen, abgeleitet bzw. geführt wird (Yin Jin Jie You Lu). Die horizontalen und vertikalen Bewegungen des Schwertes sind wie ein Blitz aus Stahl (Zong Fang Han Guang Sheng).
Tiao (von unten nach oben zerteilen), Li (von oben nach unten aufspalten), das ist der richtige Weg, Tui Tuo (wegdrücken und hochheben) ist die Standard-Methode (Tui Tuo Shi Zheng Zang) zusammenziehen, schließen wie ein Igel, entladen der Energie als wenn man zum Ende des Regenbogens reichen will. Eine Myriade von Sonnenstrahlen strahlen glitzernd. Die Glorie der Strahlen ist grenzenlos, nach langer Zeit des Übens mit dem Taiji-Schwert, dann, wenn deine Technik perfekt ist, wirst du von allein die erleuchtende Erkenntnis haben“.
Dieser Text drückt klar aus, mit welchen Prinzipien und Methoden der Chen Taiji-Schwertkampf ausgeführt wird.
In den Bewegungen der Chen Stil-Schwertform lassen sich 13 Basis-Techniken erkennen:
Zha | von oben nach unten stoßen/stechen |
Ci | gerade und nach oben stoßen/stechen |
Dian | Punktschlag mit der Spitze der Klinge aus dem Handgelenk |
Pi | spalten mit Punkt der geringsten Vibration an der Klinge |
Mo | tastend reiben, mahlen, schleifen |
Sao | säubern, wischen, fegen |
Hua | neutralisieren in kreisender Weise |
Leao | von unten nach oben ziehend schneiden |
Gua | hängende Klinge |
Tuo | drücken und hochheben |
Tui | drücken |
Jie | abfangend aufnehmen |
Jia | Klinge des Gegners nach oben bringen |
Sehr wichtig für eine effektive Anwendung der Grundtechniken sind die hinter der Technik stehenden Prinzipien und deren Zusammenspiel. Leao kann auch Tui Tuo (wegdrücken und hochheben) beinhalten. Wir dürfen die Technik nicht als einzelne isolierte Aktion verstehen. In jeder Grundtechnik/Prinzip wirkt eines oder mehrere der anderen mit. Beim Taiji-Faustkampf z.B. kann Ji dem Lu unterstützen, Lie wird An und Kao helfen wie Cai dem Lie helfen kann.
7 grundlegende Methoden
Auf Nachfrage erläuterte mir Großmeister Chen, Xiao-Wang 7 grundlegende Methoden, die in ihrer taktischen Gewichtung den Ursprung vom Schlachtfeld nicht leugnen können. Trotzdem sind die anderen genannten Grundtechniken darin enthalten. Pi, dem Spalten geht der Schlag (Ji) voraus. Pi selbst ist ein spaltender Schlag. Yun enthält Xi/Sao, Kan ist auch ein Blockieren/Ge. Prinzipien wie Nian/Zhan (kleben/anhaften) mit dem Schwert sind so grundlegend, dass sie kaum genannt werden. Ebenso das Prinzip Chan (einwickeln/einbinden). „Die Klinge des Gegners spiralig (einwickeln) aufnehmen und die Energie des Angreifers in die Leere laufen lassen (Chan Rao Jing Luo Kong).
7 Methoden nach Chen, Xiao-Wang | |
Pi | spalten mit Punkt der geringsten Vibration an der Klinge |
Kan | hacken und drücken mit unterem Drittel der Klinge |
Ci | stoßen gerade oder hoch |
Dian | mit Spitze schlagend stechen durch Impuls aus Handgelenk |
Leao | von unten nach oben ziehend/drückend schneiden |
Yun | wischende Klinge |
Mo | tastend reiben, mahlen, schleifen |
Augenscheinlich sind die 4 originalen SiMu-Schwerttechniken in allen genannten Grundtechniken enthalten. Die Grundtechniken des Chen Taiji-Schwertes gehen sehr wahrscheinlich auf diese 4 Mingzeit Schwert-Techniken zurück. Um die Anwendung der Techniken/Prinzipien richtig zu verstehen, sollten wir den Einsatz dieser Waffen auf einem Schlachtfeld sowie in einer Duellsituation verstehen. Auf dem Schlachtfeld sind grobe Techniken gefordert (siehe SiMu) und es wurde gegen andere Waffengattungen gekämpft als in einem reinen Duellkampf mit dem Schwert, Mann gegen Mann. Die Art des Kampfes Klinge gegen Klinge wird entscheidend geprägt von der Art, Größe und Gewicht der Schwerter. Auch hier dürfen wir von dem Mingzeit-Schwert ausgehen, welches im Durchschnitt 800 bis 1200 Gramm schwer war und eine Gesamtlänge von bis zu 90 cm hatte. Die Länge des Schwertes ergibt sich aus der Körpergröße des Schwertkämpfers. Unsere heutigen Übungsschwerter entsprechen meistens dem Aussehen eines Mingzeit-Schwertes.
Ein Duellkampf Mann gegen Mann, wobei jeder der beiden Kämpfer eine Überlebenschance von gut 30% hat, wird mit Sicherheit die Fähigkeit Nian/Zhan (anhaften/kleben bleiben) verlangen. Dabei ist die eigentliche Kunst nicht das Kleben bleiben, sondern das taktisch richtige Lösen, um den Kampf zu beenden.
„Die Klinge des Gegners spiralig aufnehmen und die Energie des Angreifers in die Leere laufen lassen. Da sind Wege, um Vorteile zu erlangen, während die Klinge des Gegners aufgenommen, abgeleitet bzw. geführt wird“.
Schauen wir uns die Taiji Schwertform der Chen-Familie an, erkennen wir die Herkunft: das Schlachtfeld, mit Kämpfen in Massen, gegen verschiedenste Waffengattungen über größere Distanzen und unterschiedliche Richtungen.
Haben wir die Schwertform lange, viel und intensiv trainiert und können die Seele dieser Form mit ihren Techniken/Prinzipien schmecken, lassen sich alle genannten Grundmethoden in ihr entdecken und auch im Duellkampf sehr erfolgreich anwenden.
Beim Üben der Schwert-Form müssen wir klar verstehen, welche Technik angewandt wird und in welchen Teil der Klinge wir Energie geben müssen. Wenn wir z.B. die gegnerische Klinge parieren, sollte Energie in den unteren 2/3 unserer Klinge ankommen. Bei schneidenden Anwendungen dagegen sollte mehr Energie im oberen Drittel der Klinge sein. Stöße und Stiche erfordern Energie in der Spitze der Klinge. Verstehen und berücksichtigen wir dieses nicht, wird die Technik nicht erfolgreich sein, zudem besteht die Gefahr des Klingenbruchs.
„Es heißt in China: Um mit dem Stock kämpfen zu können, trainiere ihn 100 Tage, um mit dem Speer kämpfen zu können, trainiere ihn 1000 Tage, um mit dem Schwert kämpfen zu können, trainiere es 10000 Tage“.
Wie man mit dem Schwert kämpfen lernt, zeigt die historische Entwicklung. Auf dem Schlachtfeld reicht es zum Überleben, Ji-Ci-Ge-Xi zu beherrschen. Diese groben, einfachen Schwerttechniken waren gerade auf dem Schlachtfeld effektiv, was schließlich dazu führte, dass der Säbel (Dao) das Schwert vom Schlachtfeld verdrängte, da er eine größere Durchschlagkraft besaß.
Die Entwicklung des Duell-Fechtens machte das Anwenden von filigraneren Techniken notwendig. Diese Entwicklung hatte ihren Höhepunkt im 19ten und Anfang des 20ten Jahrhunderts.
Ist der historische Ursprung auch umstritten, die Techniken, Prinzipien und Anwendung des Chen Stil-Schwertes sind recht gut überliefert. Um ein hohes Level in der realen Anwendung zu erreichen, muss die Schwertkunst sehr intensiv in Solo- und Partnerdrills, sowie im freien Fechten mit Schutzausrüstung geübt werden.
Gerhard Milbrat