Zhan Zhuang
Der Weg der Stehenden Säule
Stehen wie ein Baum, den Ball halten oder die Stehende Säule sind Benennungen einer Übung aus dem System des Zhan Zhuang, die schamanistischen und magischen Ursprungs zu sein scheint. Der Ursprung dieser Qi Gong-Methode liegt weit zurück in der Geschichte Chinas. Es gibt Hinweise auf diese Stehmeditation im Dao De Jing (dem grundlegenden daoistischen Werk, welches Laozi (ca. 600 v. Chr.) zugeschrieben wird). Laut Dao De Jing heisst es: „Alleine stehst du, unwandelbar und nimmst alle Geheimnisse wahr, gegenwärtig in jedem Augenblick und im unendlichen Fließen: Dies ist das Tor zu unbeschreiblichen Wundern“, im Buch des Gelben Kaisers (ca. 200-100 v. Chr.), dem Huangdineijing heisst es im Gespräch des Kaisers mit seinem Leibarzt: „Ich habe gehört, dass in alten Zeiten es geistige Wesen gegeben hat; sie standen zwischen Himmel und Erde und verbanden das Universum; sie verstanden das Yin + Yang und lenkten die Prinzipien der Natur; sie atmeten den Stoff des Lebens; sie versenkten sich bewegungslos in den Geist des Lebens und Sehnen und Fleisch waren eins“.
Für viele innere Kampfkünste wurde Zhan Zhuang zur grundlegenden Methode. Im Xing Yi Quan, welches in der Song Dynastie (1103-1142) von dem General Yue Fei und Yue Wu entwickelt worden sein soll, ist Zhan Zhuang eine Basis-Übung. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Zhan Zhuang im Peking der 40er Jahre durch Wang Xiangzhai, der das Da Chen Quan bzw. Yi Quan begründete.
In der heutigen Zeit bildet Zhan Zhuang die Grundlage der Kampfkünste Xing Yi Quan, Da Chen Quan bzw. Yi Quan und dem Taiji Quan.
Im System des Zhan Zhuang gibt es mehrere Standpositionen und Stile mit unterschiedlicher Durchführung und Zielsetzung. Folgende Standübungen (Zhan Zhuang Lei) werden heute noch praktiziert: Zhan Zhuang Gong, San Yuan Shi Zhan Zhuang Gong, Wuji Shi Qi Gong, Bai He Liang Chi Zhan Zhuang Fa, Tong Zhong Gong. Selbst in dem von mir neben dem Chen Taiji Quan praktizierten Gong Fu-Stil, dem Taiji Mei Hua Tang Lang Quan, findet sich in der Standübung der Gong Jia Da Ba Shi das Prinzip des Zhan Zhuang.
Für die Taiji Quan-Praktiker ist die Stehübung das Werkzeug schlechthin, um die Körperhaltung so zu strukturieren, dass alle Gelenke geöffnet sind, die Organe gelöst sind und die Lebensenergie Qi frei im Körper zirkulieren kann. Mit ihr arbeiten wir unsere Körperstruktur und Energievernetzung heraus, wobei das Untere Dantian (Xia Dantian) das elementare Zentrum ist und alle Korrekturen auf das Xia Dantian ausgerichtet sind. Das Prinzip der Stehenden Säule setzen wir in der Bewegungsform fort. Die Taiji-Form ist die Stehende Säule in Bewegung.
Oberes Dantian | Shang Dantian |
Mittleres Dantian | Zhong Dantian |
Unteres Dantian | Xia Dantian |
Hinteres Dantian | Hou Dantian |
Bei modernen westlichen Menschen ist die Zentrierung im Unterbauch nicht die Regel. Meistens haben wir eine Energiefülle im oberen Körperbereich: Im Kopf als Erlebnisraum für Gedankenaktivität und in der Brust als Erlebnisraum für emotionale Aktivität. Gedanken und Emotionen spielen zudem Ping Pong miteinander, der Körperschwerpunkt ist nach oben verlagert. Die Folgen der Energiefülle im oberen Bereich sind u.a. Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Sehstörungen; kurz – Stress im Kopf. Für den Brustbereich sind die Folgen u.a. Herz-Kreislauf-Beschwerden, Atemdysregulation, unsere Gefühle sind nicht zu bändigen, sie kontrollieren uns. Der grobstoffliche und feinstoffliche Körper ist aus dem Gleichgewicht, hat seine Mitte verloren.
5 Ebenen der Regulation
Mit dem Praktizieren der Stehübung durchlaufen unser Körper und Atem, unser Geist und Bewusstsein sowie unsere Lebensenergie eine tiefgreifende Regulation. Diese Regulation können wir in allen Qi Gong Methoden und inneren Kampkünsten wiederfinden. Die Stehübung vereinigt Körper und Geist und macht sie zu einem ausgewogenen Kraftfeld. Zhan Zhuang vermehrt die „3 Schätze“ Jing, Qi und Shen (Essenz, Energie und Geist). Energie, Blut, Sehnen und Knochen werden revitalisiert und das gesamte Energiesystem reorganisiert.
Zudem stärkt die Stehübung den Körper, alle Lebensfunktionen sowie innere (Nei Qi) und äussere (Wai Qi) Energie. Um Zhan Zhuang zu meistern, durchlaufen wir unterschiedliche Entwicklungsphasen.
5 Regulationen (Wu Tiao) |
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Regulation des Körpers | Tiao Shen |
Regulation der Atmung | Tiao Xi |
Regulation des Geistes | Tiao Shen |
Regulation des Bewusstseins + Vorstellung | Tiao Xin |
Regulation des Qi | Tiao Qi |
3 Phasen der Durchführung
Die Zhan Zhuang-Übung sollte man in drei Phasen einteilen: eine Vorbereitungsphase mit der Zielsetzung , oben und unten korrekt auszurichten, so gut zu entspannen wie möglich, den Geist zu beruhigen und die Energie im Unterbauch zu zentrieren. Bevor die Arme zur umarmenden Position auf Brustkorbhöhe gebracht werden, spricht man von Wuji Zhuang. In dieser Phase werden Entspannungsmethoden angewandt, wie z.B. 9 Entspannungen auf körperlicher Ebene und 3 Entspannungen auf geistiger Ebene, wobei Haut-Muskeln-Sehnen in 9 Regionen entspannt werden und der Mittelkanal vom Damm bis zum Scheitel gelöst bzw. geöffnet wird. Zweitens die Übungsphase mit der Zielsetzung, Himmel und Erde zu verbinden und die zentrierte Energie frei fließen zu lassen. Dazu zielen wir auf eine Haltungsstruktur, die dem Ausgleich von Yin und Yang Rechnung trägt. In der Abschlussphase wird die in Bewegung gebrachte und gestärkte Energie vor allem auch die äußere Energie, welche sich außerhalb unserer Arme gesammelt hat, zurück in den Unterbauch geführt.
Dafür gibt es unterschiedliche Abschlussübungen (Shou Gong). In der Methode nach Großmeister Chen Xiaowang werden beide Hände nach dem langsamen Absenken mit den Lao Gong Punkten in linearer Verbindung auf das untere Dantian gelegt. Das Ritual des Kreisens der drei Punkte, die zu einem verschmelzen, ist eine Möglichkeit, mehr Energie in den Unterbauch zu führen.
Entwicklungsphasen
In der 1. Phase erarbeitet der Praktiker seine äußere Haltungsstruktur. Er steht entspannt, am Scheitel wie aufgehängt, mit schulterweiten, parallel gestellten und tief verwurzelten Füßen, in den Knien leicht gebeugt. Die Augen sind zu 2/3 geschlossen. Die Wirbelsäule hängt im senkrechten Lot herab. Die Leisten sind gebeugt, als wenn man sich setzen wolle. Die Arme sind zum Brustkorb gehoben, als wenn ein großer Ball umarmt wird. Das Himmlische Auge bzw. das Obere Dantian zwischen den Augenbrauen ist gelöst und schaut ins Untere Dantian. Der Unterbauch ist das Zentrum. Der Qi Gong Meister Li Zhichang sagt: „Auf 3 Säulen ruhen wir, an 3 Fäden hängen wir, Dantian ist Mittelpunkt“. Hier kann man z.B. zunächst die ganze rechte Körperseite lösen und durchlässig machen, dann erarbeitet man so die linke, vordere und hintere Körperseite, um schließlich vom Scheitel bis zur Sohle den gesamten Körper zu lösen und durchlässig zu machen. Es scheint, als setze man sich in die gelöste Struktur.
Für viele ist diese Phase sehr schwierig und ohne Korrektur durch einen erfahrenen Lehrer ist schon hier ein Weiterkommen sehr unwahrscheinlich. Unser gesamter Halte- und Stützapparat hat im Laufe unseres Lebens eine Haltungsstruktur entwickelt, die durch uns bzw. unsere Angewohnheiten, Verletzungen, Psychotraumata, Charakterkonditionierungen und Sozialisierungen geprägt ist. Der Geist ist sehr unruhig.
Durch Üben von Zhan Zhuang werden diese Muster gelöscht und eine Struktur, die ein im Gleichgewichtsein zum Ziel hat, installiert. Die Übenden durchlaufen einen ganzheitlichen Transformationsprozess, der für viele bitter schmeckt. In den ersten Phasen wird auf der Ebene von Knochen-Sehnen-Muskeln geübt. Das heißt: Die Haltung und Ausrichtung des Skelettsystems wird verändert, die Sehnen- und Muskelbelastungen werden eingeübt. Der Übende ist damit beschäftigt, selbst seine Haltung und Spannungen zu regulieren. Er fühlt, lauscht in seinen Körper hinein, um Blockaden zu erkennen und zu lösen. Knochen, Muskeln und Sehnen sind diese korrigierte Haltung aber nicht gewohnt. Oft kommt das alte Haltungsmuster durch, Sehnen und Muskeln zittern, evtl. schmerzen Knochen (z.B. Kniegelenke). Die Alltagshaltung des modernen Menschen drückt u.a. kinetische bzw. Bewegungsenergie in den oberen Körper. Stehen mit durchgedrückten Knien führt zu schnellem Verschleiß von Knie- und Hüftgelenken sowie zur Degeneration der Bein- und Hüftmuskeln. Durch eine solche Stellung verspannt u.a. der untere Rücken. Eine Unterbauchentspannung ist fast nicht möglich. Energie wird in Brust und Kopf gedrückt. Die Folgen sind ein aus der Mitte, aus dem Gleichgewicht kommen mit allen Konsequenzen für Körper, Geist und Seele.
Wird Zhan Zhuang regelmäßig geübt, legen sich viele der Beschwerden beim Üben. Knochen, Muskeln und Sehnen haben sich an die ungewohnt veränderte Belastung angepasst. Die konzentrierte Aufmerksamkeit beim Ablauf der Übung hat dem Geist gezielte Aufgaben gestellt und so etwas gebändigt. Die Konzentrationsfähigkeit ist besser geworden. Man kann sich mehr anderen Aspekten des Zhan Zhuang zuwenden. Kann man auf der Haut-Muskel-Sehnen-Ebene wirklich entspannen und loslassen, stellt sich die Wahrnehmung des Energieflusses ein, die Korrektur durch einen Lehrer immer vorausgesetzt. Es gilt hier zu beachten, dass Vorstellung und Qi-Wahrnehmung getrennt bleiben! Die Eigenwahrnehmung der Übenden ist anfänglich zu subjektiv, um eine korrekte Haltungsposition einzunehmen und weiter zu erarbeiten. Nur durch Korrektur und tägliches Üben bekomme ich ein Gefühl dafür, in welche Richtung die Korrektur des Lehrers geht, bzw. welches Prinzip hinter den Korrekturen steht.
In dieser ersten Phase werden in der Regel allgemeine Missempfindungen sowie besondere Wahrnehmungen den Übenden widerfahren. Bis sich Wohlbefinden und Entspannung einstellen, können u.a. Empfindungen wie Erstarrung, Taubheit, Asymmetrie, Schmerzen, Wärme, Kühle, Schwanken beim Stehen, auftreten.
Prof. Yu Yongnian, ein Schüler von Wang Xiangzhai, 1920 in Dalian geboren, entwickelte die korrekte Anwendung des Zhan Zhuang bei verschiedenen Erkrankungen in chinesischen Hospitälern. Dabei erstellte er eine Liste, welche öfter auftretende Empfindungen und Wahrnehmungen in den ersten Übungswochen tabellarisch wiedergibt.
Hat man gelernt, die in etwa richtige Position einzunehmen und eine erste Umstrukturierung (Knochen-Muskeln-Sehnen) im wahrsten Sinne durchgestanden, kann der Taiji-Praktiker die äußeren 3 Harmonien (Wai San He) richtig vertiefen.
Wai San He |
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Jian Yu Kua He | Schultern und Hüften verbinden sich |
Zhou Yu Xi He | Ellenbogen und Knie verbinden sich |
Shou Yu Zu He | Hand- und Fußgelenke verbinden sich |
Am Ende der ersten Phase des Zhan Zhuang sollte es gelingen, Yin und Yang in Bezug auf oben und unten des Körpers auszugleichen, um die sogenannte Doppelte Gewichtung zu beseitigen d.h. durch das am Scheitel wie aufgehängt sein und nach unten lösen von Haut, Muskeln und Sehnen sinkt „das Schwere nach unten, das Leichte kann nach oben steigen“. Hierbei sollte die Aufmerksamkeit beim Üben zu 80% beim „das Schwere nach unten sinken lassen“ und zu 20% am Scheitel sein. Der menschliche Organismus bzw. sein Energiesystem wird in dieser Phase noch nicht soviel steigende Energien ertragen, zumal zunächst mit Absenken des Körperschwerpunktes ein Fundament für weitere Energiearbeit geschaffen werden muss. Dem Sinken des Yin widmet man zunächst 80%, dem Steigen des Yang zunächst 20%. Das kommt dem modernen Menschen entgegen, der in der Regel „oben voll und unten leer“ ist. Übende mit niedrigem Blutdruck und Neigung zur Ohnmacht können mehr auf den Yang-Aspekt achten.
Sind wir am Scheitel wie aufgehängt, nach unten entspannt/gelöst und im Unterbauch gesammelt, können die meisten ca. 20-30 Minuten stehen und fühlen sich relativ wohl. Sollten sich Schmerzen im Halte-Stützapparat hartnäckig halten, und auch durch die Korrekturen des Lehrers nicht verschwinden, macht es Sinn, einen Osteopath oder Chiropraktiker aufzusuchen, um Fehlstellungen von Becken, Hüfte, Wirbelsäule und Rippen zu korrigieren. In der ersten Phase dieser Übung sollten wir eine hohe, leicht gesetzte Position einnehmen und äußerlich nicht zu tief stehen. Muskulatur und Energielevel sollten Zeit zur Anpassung haben, damit kein Schaden entstehen kann.
Die 2. Phase unserer Entwicklung in der Stehenden Säule nutzen wir, um die Entspannung zu vertiefen. Nach Haut, Muskeln und Sehnen werden die inneren Organe gelöst, noch mehr schwerer Ballast kann absinken. Beim Absinken der Energien fließen 80% ins untere Dantian, 20% weiter durch die Beine bis zu den Füßen und in die Erde. Obwohl die Beine fast zu platzen scheinen, rührt dieser Effekt nicht ausschließlich von einer Energiefülle, sondern auch von den „schwereren“ Substanzen wie z.B. Blut, Lymphe, Gewebeflüssigkeit. Aber dies ist keine Einbahnstraße, zur absinkenden Energie kommt eine, durch die richtige Erdung aufsteigende Energie. Diese sollte zunächst zu 80% über das hintere Dantian (Hou Dantian=Ming Men) in die Nieren und zu 20% zum Scheitel fließen. Wie in Phase 1 kann man hier alle Körperseiten einzeln, dann gesamt, lösen, um schließlich auch die Haut zu lösen, als wenn man in alle Richtungen strahlt.
Die Betonung des Sammelns im unteren Dantian ist sinnvoll. Im Schmelztiegel des unteren Dantians, besonders wenn es uns gelingt, das Feuer des Herzens dorthin fließen zu lassen, werden alle negativen, verbrauchten Energien gereinigt und umgewandelt. Und von diesem Energiezentrum fließt die Energie wie durch „1000 Schläuche“ in den gesamten Organismus und strahlt über die gelöste Haut. Die Wahrnehmung des Fließens der Energie in der 1. Phase bekommt hier eine neue Dimension. Der Weg dahin ist aber recht schwer, viele scheitern in dieser Phase. Das Lösen der inneren Organe hat tiefgreifende Konsequenzen. Altes Psychogepäck, Verdrängtes, Unverarbeitetes löst sich aus unseren Tiefen. Kaum kann man sich selbst Aushalten. Schnell greift man wieder nach bewährten “Festhaltemustern“. Soll dies keine Grenze in der Vertiefung der Stehenden Säule sein, können ein verständiger Lehrer, ein Gesprächstherapeut, ein Osteopath oder Chiropraktiker helfen. Unsere Haltung ist Ausdruck und Spiegel unseres Selbst. Durch die immer besser werdende Lösung und Entspannung unseres Körpers sollte die innere Energie und die Energieaura stärker geworden sein, der innere Energiezusammenschluss und Fluss, die energetische Verbindung mit unten und oben, rechts und links, vorn und hinten wird intensiver. D.h. wir können die Verbindung mit „außen“ ausarbeiten.
Bezogen sich in der 1. Phase die Wahrnehmungen und Empfindungen vorwiegend auf körperliche Symptome, können mit dem letzten Drittel der 1. Phase immer mehr psycho-vegetative Dysbalancen bis zum Meistern der 2. Phase in den Vordergrund treten. Hier sei wieder auf die Bedeutung einer Betreuung durch einen erfahrenen Lehrer hingewiesen! In der 2. Phase müssen auch kleinste Ungenauigkeiten in der Spannungsbalance von Muskeln, Sehnen, Knochen und Organe korrigiert werden. Man kommt seinem eigentlichen Selbst immer näher. Zhan Zhuang bekommt hier eine psychotherapeutische Wirkung. Für den Taiji-Praktizierenden sollten hier auch die 3 inneren Zusammenflüsse bzw. die inneren 3 Harmonien (Nei San He) korrekt installiert sein.
Nei San He |
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Xin Yu Yi He | Das Herz verbindet sich mit der Aufmerksamkeit |
Qi Yu Li He | Die Energie verbindet sich mit der Kraft |
Jin Yu Gu He | Die Sehnen verbinden sich mit den Knochen |
In der 2. Phase sollte der Zustand Ru Jing (innere Ruhe) längere Zeit gehalten werden können, selbst wenn Ablenkungen auftreten, wie z.B. Telefonklingeln oder manchmal auch nur eine Mücke. „Wir stehen gesunken, ruhig und zentriert, alles ist eins, da kommt ein Tiger in den Raum“ sagt Großmeister Chen Xiaowang.
Jetzt sollte die Standposition tief entspannt mit geöffneten Gelenken und Energieleitbahnen sowie mit aus dem Zentrum heraus frei fließendem Qi über 30-40 Minuten gehalten werden können. Oftmals werden in dieser Phase verschiedene Atemtechniken sowie unterschiedliche Imaginationen durchgeführt, z.B. Energie aus Bäumen aufnehmen, Gegenbauch-, Haut-, Knochenatmung. Jetzt sollte das Qi-Potenzial durch regelmäßige Praxis erhöht sein. Hier beginnt die eigentliche Transformationsphase.
Mit Beginn der 3. Phase ist der Übende in einem wirklich tranceähnlichen Zustand, wo er alle aktiven Vorstellungen unterlässt. Das Alltagsbewusstsein ist immer mehr in den Hintergrund getreten. Seine beobachtende Funktion ist vollends erloschen. Jedes bewusste Gefühl für sich selbst, ja sogar für Zeit und Raum, verliert sich. In diesem Zustand ist stundenlanges Stehen möglich.
Die 3. Phase eröffnet dem Praktizierenden die volle spirituelle Tiefe, fern ab von allem Dogma und Methoden. Hier muss selbst die Methode, die uns bis hierhin gebracht hat, wie ein Werkzeug nach getaner Arbeit aus der Hand gelegt werden.
Mit einer spirituellen Ausrichtung dieser Übung kamen wir in den ersten zwei Phasen durch unsere Erfahrung mit der Übung zu einigen Erkenntnissen, jetzt in der 3. Phase können wir zur Erleuchtung gelangen.
Mit der Zhan Zhuang-Übung steht uns eine Übung zur Verfügung, welche seit tausenden von Jahren durch ihre umfassende, stärkende, harmonisierende Wirkung von Meistern verschiedenster Systeme hoch geschätzt wird. Die Stehende Säule ist u.a. wie eine energetische Dusche mit stark reinigender und stärkender Wirkung. Hier gilt: „Wer sich waschen will, muss sich auch nass machen“.
Die Wirkungen des Zhan Zhuang sind bei sachgerechter Anleitung durch einen Lehrer und richtigem Üben in einigen Wochen bis Monaten spürbar. Ist man bereit, die volle Tiefe dieser Übung auszuschöpfen, ist es sicher ein bitterer, steiniger Weg, welcher jahrelanges Üben erfordert, aber zum Verschmelzen mit dem Geist der Natur führt. Die Übung der Stehenden Säule hat für jeden Anspruch etwas zu bieten. Für den Chen Taiji-Praktizierenden ist sie ein Werkzeug auf dem Weg zum Verständnis der Struktur in der Bewegungsform. Dafür hat Großmeister Chen Xiaowang die Inhalte dieser Übung ausschließlich auf das Taiji-Prinzip und die dazu nötige Körperstruktur und der daraus resultierenden Energiezentrierung und Vernetzung ausgearbeitet und in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in das Übungsprogramm der Chen Familien aufgenommen.
Text: Gerhard Milbrat
Quellen-/Literaturempfehlung
Wong Kiew Kit/Die Kunst des Qi Gong
Lam Kam Chuen/Energie und Lebenskraft durch Qi Gong
Thomas Milanowski/Die magischen Körper-Geistübungen Chinas und deren Verbindung zum Schamanismus
Thomas Heise/Qi Gong in der VR China (Entwicklung, Theorie, Praxis)
Mantak Chia/Eisenhemd Chi Kung
Hrsg. Martina Darga/Xingming Guizhi-Das alchemistische Buch vom inneren Wesen und Lebensenergie
Ute Engelhart/Fu Qi Jing Yi Gung/Sima Chengzhen; Die klassische Tradition der Qi Übungen
Chen Xiaowang/Chen Family Taijiquan of China
Chen Shi Taijiquan Jing Xuan/Feng Zhiqiang: “The Chen Style Taijiquan Journal”