(01.10.2003 – 20.10.2003)
Taiji Quan Intensive im Land der Morgenstille
Sechs Personen hatten sich zur ersten Reise der WCTAG nach Südkorea ins „Land der Morgenstille“ aufgemacht. In Seoul gelandet, wurden wir von Gerhard herzlich in Empfang genommen, der mit den Mitarbeitern des Balgunvit Meditation Centers (WCTAK) für einen guten Transfer ins Hotel sorgte.
Drei aus der Gruppe waren schon acht Tage vorher losgeflogen. Sie hatten Gelegenheit, in Daegu Dr. Park, Gerhards Lehrer in traditioneller chinesischer Medizin, zu treffen und unter seiner kundigen Führung über die Medizinstrasse zu bummeln und ein Museum für traditionelle Medizin zu besuchen.
Die ersten Tage in Seoul waren voller neuer Eindrücke. Allein das Essen war märchenhaft: der Tisch bog sich jedesmal unter den verschiedenen Speisen, die zu jeder Mahlzeit aufgetischt wurden. Der erste Besuch galt dem Tempel Bong un Sa, der als ruhige Oase mitten zwischen den Wolkenkratzern von Seoul liegt. Dort konnte jeder von uns einen Abrieb von einer Kalligraphie herstellen. Auch der Kaiserpalast vermittelte einen Eindruck der Machtentfaltung im alten Korea. Interessant waren auch ein Ausflug in eine traditionelle Sauna, wo man in Kleidung die einzelnen Räume betritt. Ein Bummel auf der Shoppingmeile Insadong gehörten natürlich ebenso zum Programm wie ruhige Momente bei einem Tempelritual oder im Teehaus. Training und Demonstration des kleinen Rahmens Xiaojia des Chen-Stiles im Balgunvit Meditation Center rundeten den ersten Teil unserer Reise ab.
Die Mitglieder der WCTAK nahmen sich alle Zeit und sorgten mit asiatischer Gastfreundschaft dafür, dass alles wunderbar organisiert war und reibungslos ablief!
Von der Hektik Seouls ging es in eine atemberaubende Bergwelt, mit klaren Flüssen, Felsformationen und Wasserfällen. Unter diesen Natureinflüssen, die täglichem Wandel unterworfen waren, begann unter der Leitung von Gerhard das intensive Training von Taiji Quan und Qigong. Meister Park, der Leiter des Balgunvit Centers, bot durch die Vermittlung der 12 grundlegenden Taiji Daoyin Übungen einen Einblick in den Kleinen Rahmen und eröffneten weitere Aspekte der Gelenköffnung, die wir in unseren Formen wiederentdecken konnten.
Öffnen der Menschlichkeit – der Name des Zentrums, das in die herbstliche Farbenpracht eingebettet lag, war nicht nur eine Kalligraphie auf einem Stein am Eingang, sondern wurde täglich geübt. Das Taiji-Training in dieser atemberaubenden Landschaft begeisterte die ganze Gruppe mit einem neugewonnenen Naturerleben. So bekamen die morgendliche Stehende Säule am Fluss und auch die abendliche Sitzmeditation in dieser sehr klaren Bergluft eine andere Tiefe. Ruhe und Stille wirkten sich klärend auf den Geist aus. Ebenso der Wind, der mit seiner Kraft diese Gedanken in Erkenntnisse verwandelte. Bäume und Wald standen für uns sinnbildlich für die feste Verwurzelung und obere Leichtigkeit.
Der Fluss mit seiner konstanten Strömung symbolisierte Kraft, Plastizität und auch Weiterentwicklung. So fließt das Leben und ein Wassertropfen wird zu einem Augenblick, der in seiner Einmaligkeit niemals wiederkommt. Die intensive Mittagssonne wärmte nicht nur den Körper, sondern auch das Herz von innen. Die Stabilität der Berge, mit ihrer klaren Struktur und Festigkeit bestätigten die Essenz der Stehenden Säule, die eigene Struktur zu wahren, ohne sich anzulehnen oder abzustützen, die Stabilität aus sich selbst heraus zu gewinnen. All diese Dinge verhalfen uns dazu, der eigenen Natürlichkeit ein Stück näher zu kommen.
Der gute Geist des Hauses war Baram, der uns bei all den kleinen Dingen des täglichen Lebens wie Einkaufen auf dem Markt bis zur Bedienung des Reiskochers mit großer Umsicht und Aufmerksamkeit zur Seite stand. Das Kochen allerdings wurde von der Gruppe selbständig erledigt, wo sich alle mit ihren „Kochkünsten“ einbringen konnten. Obwohl sich am Anfang alle noch nicht so gut kannten, entwickelte sich ein sehr harmonisches Miteinander, so dass es trotz der angestrebten Stille immer etwas zu lachen gab.
Nach 12 Tagen intensiven Trainings ging es wieder zurück in die „Zivilisation“, allerdings mit einem Zwischenstopp in einem buddhistischen Tempel, dessen Abt Gerhard bei seiner letzten Reise kennengelernt und eingeladen hatte. Bei unserer abendlichen Ankunft wurden wir mit einem fantastischen vegetarischen Essen begrüßt und genossen die absolute Stille, die an diesem Orte herrscht. Morgens um 4:30 rief die Glocke zum Morning Bell Chant, der uns durch seinen Rhythmus und die Harmonie der verschiedenen Stimmen alle mitriss.
Die Rückkehr nach Seoul mit seinen endlosen Staus und den Hochhäusern war ein deutlicher Kontrast zur vorher erlebten Stille der Natur. Letzte Einkäufe wurden erledigt und wieder etwas „Ordentliches“ gegessen: Nach der doch eher spartanischen Ernährung in den Bergen gab es wieder Bulgalbi in Gerhards Stammrestaurant.
Sonntag morgen war es dann soweit: Das Taxi brachte uns zur Kwangwoon University im Osten von Seoul, wo wir beim ersten Treffen der koreanischen Taiji-Organisationen, das vom Balgunvit Center organisiert worden war, Formen aus unserem Taiji Quan-System demonstrieren sollten. Die Choreographie Gerhards kombinierte Taiji Quan mit Kungfu, Waffenformen (Schwert, Säbel, Speer) und Anwendungen, die von der Gruppe gemeinsam umgesetzt wurde. Besonders faszinierend war die Vorführung des Zendance, der Elemente der indischen Tanzkunst mit der Haltung des Zen verband.
Ein wunderbares Abendessen, zu dem uns unsere koreanischen Freunde eingeladen hatten, rundete den Tag ab.
Unser Dank gilt vor allem Gerhard, der diese Reise durch die gute Organisation, seine vielfältigen Kontakte und seinen persönlichen Einsatz zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht hat.
Die Teilnehmer